Inhaltsübersicht:
Kassel ist heute eine in Deutschland fast zentral gelegene Stadt – vor dem Mauerfall war Kassel eine Grenzstadt. Der „Platz der Deutschen Einheit“ liegt im Osten Kassels und besteht aus einem Verkehrsknotenpunkt zur Regulierung des Verkehrs.
Es ist ein großer Kreisverkehr, welcher durch eine Straßenbahn in der Mitte „durchgeschnitten“ wird. Es leitet den Verkehr zu der A7, aber auch zu den Bundesstraßen 7 und 83.
Baubeginn der Kreisverkehrs, welcher im Volksmund in Kassel auch der „große Kreisel“ genannt wird, ist ab September 1957 – die Planungen hierzu gibt es schon 1955. Fertiggestellt wird er am 1.7.1958, welcher mit einem Fest gefeiert wird. Es ist der erste Kreisel dieser Art in Hessen – somit wird Kassel Vorreiter zur Bewältigung von erhöhtem Verkehrsaufkommen. In der Mitte des Kreisverkehrs befindet sich die Haltestelle der Straßenbahn und später auch für den Busverkehr. Fußgänger können die Haltestelle unterirdisch durch Tunnel erreichen.
Den Namen bekommt der Kreisel auf Grund eines Erlasses vom 15.12.1956 des Hessischen Ministers des Inneren, Herr Heinrich Schneider. Er empfiehlt,
„bei Um- bzw. Neubenennungen von Straßen und Plätzen die Bezeichnung “Platz oder Straße der deutschen Einheit” zu wählen.“ 1
Quelle: Hessische Nachrichten Nr. 150 vom 02.07.1958
mit freundlicher Genehmigung der HNA
Herr Oberbürgermeister Lauritz Lauritzen ist überzeugt davon, dass
„der Platz für diesen Namen besonders geeignet ist, weil er im Osten der Stadt im Zuge der Leipziger Straße ein würdiges Bauwerk darstellt. Der gesamte Verkehr nach Mitteldeutschland und zum Osten rollt über diesen Platz.“ 2
und auch, „um den Gedanken an die Wiedervereinigung immer wach zu halten“, tauft der Oberbürgermeister den Kreisel auf den Namen „Platz der Deutschen Einheit“. 2
Mit der Eröffnung des Kreisverkehrs kommt die ersehnte Beruhigung für den Verkehr auf der Leipziger Straße, der zu vorher zu den Zeiten der Verkehrsspitzen völlig überlastet war.
Der Kreisel ist zwar nur ein Baustein in dem weitverzweigten System der Straßenneubauten, aber besonders dazu bestimmt, den Fernverkehr um die Stadt herumzuführen.
Der Platz wird heute noch auch der „Große Kreisel“ genannt – noch im gleichen Jahr wird auch der Scharnhorst-Kreisel, auch genannt als „Kleiner Kreisel“ zur ampelfreien Verkehrsregulierung des Autobahn-Zubringers in der Nähe des Platzes gebaut.
Gedenkstein auf dem Platz der Deutschen Einheit
Foto: Karin Müller Schmied
Ein Jahr später, am 17.6.1959 enthüllt Bürgermeister Dr. Karl Branner einen Gedenkstein, der die Namensgebung „Platz der Deutschen Einheit“ unterstreichen soll. Der Stein steht noch heute auf dem Platz der Deutschen Einheit am Schnittpunkt der Leipziger Straße und soll zu jener Zeit des Kalten Krieges jeden Kraftfahrer erinnern, täglich an der „Wiederherstellung der deutschen Einheit“ mitzuwirken.
„Der Stein soll eine mahnende Verpflichtung sein, stets an unsere Brüder und Schwestern im unfreien Teil Deutschlands zu denken.“ 3
Meilenstein bzw. Kilometerstein auf dem Platz der Deutschen Einheit
Foto: Karin Müller Schmied
Vier Jahre später wird am Tag der Deutschen Einheit auf dem „Platz der Deutschen Einheit“ ein weiterer Stein enthüllt. Es soll “kein Gedenkstein, sondern ein Wegweiser sein“, sagt Oberbürgermeister Dr. Karl Branner. Es ist ein Kilometerstein, auch Meilenstein genannt, wie er auch in vielen anderen Städten wie z.B. Göttingen und an der Autobahn aufgestellt wird und dient zur Mahnung und Erinnerung an die Teilung Deutschlands. Der Null-Kilometer-Stein steht in Berlin.
Bauliche Veränderungen
In den 60er Jahren wird der Kreisverkehr zum Unfallschwerpunkt in Kassel. Der Bau einer Brücke, den vor allem die CDU vorschlägt, wird bis 2012 immer wieder abgelehnt.
Die ersten Ampeln werden 1972 in Betrieb genommen, um den Verkehrsfluss zügiger zu machen und für weniger Unfälle zu sorgen. Die Ampeln könnten als ein Hinweis darauf dienen, dass im gleichen Jahr im Dezember der Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR geschlossen wird. Der Grundlagenvertrag regelt die Beziehungen zwischen beiden Staaten und heißt korrekt „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik“. Auch die Ampeln auf dem „Platz der Deutschen Einheit“ regeln grundlegend den Verkehr.
Großer Kreisel: Rechtsabbieger bis zur Gartenschau 1981
Quelle: HNA, Hessische Allgemeine Nr. 10 vom 12.01.1980
mit freundlicher Genehmigung der HNA
Für die Bundesgartenschau 1981 wird ein Jahr zuvor die Rechtsabbiegerspur von der Innenstadt Richtung Waldau verbreitert.
Am 7. und 10. November 1989 stehen lange Artikel in der Hessischen Allgemeine über Diskussionen zu den baulichen Planungen zur Erhöhung der Sicherheit im Kreisel. Stadtbaurätin Christiane Thalgott stellt fest, dass die „Zeit der einseitigen Bevorzugung der Kraftfahrer vorbei ist“. Es sind u.a. die Belange von Fußgängern und Fahrradfahrern stärker zu berücksichtigen. Der Baubeginn soll 1994/95 sein – dazu gibt es Kritik, weil er manchen zu spät kommt.
Kritisch wird auch die zu späte Hinweisung auf die Spureneinteilung im Großen Kreisel gesehen. Das Ziel Eisenach irritiert viele Kraftfahrer. Müßte hier nicht besser Eschwege oder DDR-Grenzübergang stehen? „Nein“, sagte Straßenverkehrsdezernent Ludolf Wurbs. Angesichts zunehmender Kontakte mit DDR-Bürgern „fahren künftig wieder mehr nach Eisenach“.
Man bedenke: die Informationen, welche in der Zeitung stehen, wurden spätestens Tags zuvor dem Journalisten zugetragen. Der Mauerfall allerdings ereignet sich erst in der Nacht vom 9. November zum 10. November.
Umgebaut wird der Platz erst im April 1997. Die Übersichtlichkeit im Verkehr wird durch die turbinenartige Markierung im Kreisel gewährleistet, auch wird die Ampelanlage und der Fahrbahnbelag erneuert. Die Straßenbahn- und Bushaltestelle wird ebenfalls erneuert und deutlich verbessert – der Ein-, Um- und Ausstieg wird bequemer und schneller. Für Fußgänger werden zwei ebenerdige Fußgängerüberwege mit entsprechender Ampelanlage installiert. Entgegen der Planungen bleiben die Tunnel doch bestehen.
Die Unfallzahlen sinken danach deutlich, von ~400 auf ~120 im Jahr. Dennoch bleibt der Kreisel weiterhin Unfallschwerpunkt.
Der Mauerfall
Am Abend des 9. November (und in den folgenden Tagen) erleben Kasseler Bürger, wie DDR-Bürger sich über die offene Grenze freuen und zahlreich in ihre Stadt kommen.
Der Busfahrer Peter Kuhlmann der Buslinie 37 wartet mit einem Kollegen der Buslinie 32 auf dem Platz der Deutschen Einheit auf die Anschlussbahn der Linie 4, als auf einmal ein Gehupe einsetzt und lauter Trabis um den Platz fahren. Beide sind ganz verwundert und fragen sich, was nun los ist? „Vielleicht drehen die hier einen Film und haben uns nicht darüber informiert“, meint sein Kollege. Über Funk klärt die Leitstelle sie dann auf. Die DDR-Bürger dürfen kostenlos mitfahren. 4
Der „Himmelsstürmer“
Himmelsstürmer auf den Kreisel
Quelle: HNA, Hessische Allgemeine Nr. 253 vom 29.10.1992
mit freundlicher Genehmigung der HNA
1992 findet in Kassel die documenta IX statt. Der Künstlerische Leiter lädt unter anderem den Künstler Jonathan Borofsky ein. Borofsky stellt auf den Friedrichsplatz (im Zentrum der Stadt und der documenta) die Skulptur „Man walking to the sky“. Diese Skulptur findet bei vielen Bürgern der Stadt Anklang, so dass die Stadt – mit Spenden finanziert – die Skulptur nach dem Ende der Ausstellung kauft. Die Skulptur symbolisiert für die Bürger eine positive aufwärtsstrebende Entwicklung, ein Zeichen für die hoffnungsvolle Zukunft der Stadt und wird „Himmelsstürmer“ genannt.
Noch schwieriger als der Ankauf gestaltet sich die Suche nach dem dauerhaften Standort der Skulptur – denn auf dem Friedrichsplatz kann sie wegen der nachfolgenden documenta-Ausstellungen nicht bleiben.
Der Künstler wünscht sich als Standorte den Hügel im ehemaligen Bundesgartenschau-Gelände (zwischen Kassel und Waldau gelegen) oder den „Platz der Deutschen Einheit“. Auch Bürger und Anwohner des Großen Kreisels finden die Idee gut, dass die Skulptur auf dem „Platz der Deutschen Einheit“ stehen soll. Der Stadtrat schlägt als Standort den Hauptbahnhof * vor. Doch dies wird verworfen, auch der Künstler ist mit diesem Standort Hauptbahnhof nicht einverstanden.
1994 kommt der Standort am Hauptbahnhof wieder in die Diskussion, da der langsam verfallende Bahnhofbereich zu einem Kulturbahnhof umgestaltet werden soll. Dazu würde die Skulptur als aufstrebendes Zeichen sehr gut passen. Die Stadt entscheidet sich nun für den Standort am Hauptbahnhof. Heute steht die Skulptur auf einem sichtbaren Sockel, der nach dem Wunsch des Künstlers eigentlich in der Erde versteckt werden sollte. Dies und die Entscheidung gefällt dem Künstler gar nicht und er hat seitdem die Skulptur nicht mehr besucht.
Laut einem Eintrag in Wikipedia soll der Himmelsstürmer für kurze Zeit auch auf dem „Platz der Deutschen Einheit“ gestanden haben, doch dazu habe ich leider keine weiteren Informationen und Belege gefunden.
Die Eiche
Eine Eiche für den Platz der Deutschen Einheit
Quelle: HNA, Hessische Allgemeine Nr. 231 vom 5.10.2000
mit freundlicher Genehmigung der HNA
Einige Jahre gehen ins Land, am Platz passiert nach 1997 laut meinen Recherchen nichts weiter in dieser Zeit. Erst am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2000 erhält der Platz zum Gedenken an die Einheit eine Eiche, die an diesem Tag von der CDU gepflanzt wird. Der Baum hat keinen Hinweis darauf, allerdings vermute ich, dass es der jüngste Baum auf dem Platz ist.
Die Zukunft des Platzes
Der Platz der Deutschen Einheit im Februar 2015
Foto: Karin Müller Schmied
Die Zukunft ist noch ganz ungewiss für den „Platz der Deutschen Einheit“ in seiner Funktion als Verkehrsknotenpunkt. Gegenwärtig wird diskutiert, dass der Kreisverkehr in eine Kreuzung umgewandelt werden soll. Angedacht war auch eine Brücke, aber diese wird nun doch nicht gebaut. Viele Bürger Kassels – obwohl manch ihrer Autofahrer den Großen Kreisel meiden – sind gegen eine Umwandlung in eine große Kreuzung.
Es gibt sowohl ein Gutachten aus dem Jahr 1989 und eine Forschung (Brilon, Struwe), welche belegen, dass Kreisverkehre sehr leistungsfähig und sicher sind, da keine Frontalzusammenstöße möglich sind. Das aktuelle Gutachten von 2012 der Brilon Bondzio Weiser Ingenieurgesellschaft für Verkehrswesen sagt das Gegenteil aus.
Fazit
Der Kreisel hat nach seiner Benennung als „Platz der Deutschen Einheit“ inzwischen drei Gedenkstätten erhalten. Leider wird hierauf nicht hingewiesen, so dass die Hinweise zur Teilung und Einheit vage bleiben. Vor dem Mauerfall gibt es in Kassel jedes Jahr zu den Gedenken an den 17. Juni 1953 Feierlichkeiten, die an das Ereignis erinnern sollen. Jedoch werden diese Feierlichkeiten bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht auf dem „Platz der Deutschen Einheit“ abgehalten. In kurzer Entfernung vom Platz steht am „Haus der Jugend“ ein Mahnmal des geteilten Deutschlands.
Kassel hat seit 2011 ein Original Beton-Segment der Berliner Mauer, das jedoch am Berliner Platz und an der Berliner Brücke im Westen der Stadt steht und auf eine Initiative eines Bürgers zurückgeht.
Es ist zu überlegen, in wie weit der Platz seinem Namen „Platz der Deutschen Einheit“ außerhalb seiner verkehrstechnischen Funktion noch der Geschichte gerecht werden kann.
Dass die Stadt Kassel, den Kreisverkehr in eine Kreuzung umwandeln möchte, wundert mich. Es gibt zu Kreisverkehren auch weiterhin erfolgreiche Forschung wie zum Beispiel der turbinenartige Kreisverkehr am Knotenpunkt B500 / Rotweg in Baden-Baden.
Wo werden die Bäume auf dem Platz dann verbleiben, was wird aus dem Baum, der zum Tag der Deutschen Einheit gepflanzt wurde?
——
* Kassel hat zwei Bahnhöfe. Der Hauptbahnhof ist nahe des Zentrums der Stadt gelegen und der Bahnhof Wilhelmshöhe – auch ICE-Bahnhof genannt – liegt im Westen der Stadt.
1 Magistratsprotokoll vom 24.06.1958, Sign. A.1.00. Bd 27
2 Hessische Nachrichten Nr. 150 vom 02.07.1958
3 , 18.06.1959
4 Hessisch/Niedersächsische Allgemeine, 09.11.2007
1 … Anzeiger, 08.06.2009
1 … Anzeiger, 08.06.2009
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